Autorin: Lisa Stalder
«Bei Open Research Data geht es um eine Welt, in der Wissenschaftler:innen zusammenkommen, um das Tempo wissenschaftlicher Entdeckungen zu beschleunigen». Mit diesen Worten eröffnete Yves Flückiger, Präsident der Akademien der Wissenschaften Schweiz, die Verleihung des Nationalen Open-Research-Data-Preises, der zum zweiten Mal vergeben wurde. Mit seiner Aussage setzte Flückiger auch gleich den Ton für einen Abend, der nicht nur die Würdigung herausragender Projekte war, sondern auch eine Reflexion über die Rolle von Open Research Data (ORD) in der Wissenschaft der Zukunft.
Zur Preisverleihung, die am 27. November in der Eventfabrik in Bern über die Bühne ging, erschienen rund 100 Personen, viele weitere verfolgten den Anlass über den Livestream. Die Akademien der Wissenschaften Schweiz hatten im Rahmen der nationalen ORD-Strategie den ORD-Preis im vergangenen Jahr ins Leben gerufen, um Forschende für ihre kreativen und fortschrittlichen Ansätze im Umgang mit Open Research Data zu würdigen. Das Ziel: den Übergang zu offeneren Forschungspraktiken zu fördern. Denn offene Forschungsdaten, so die Organisator:innen, stehen für mehr Transparenz, bessere Reproduzierbarkeit und eine stärkere Zusammenarbeit in der Wissenschaft. Und sie ermöglichen es der Gesellschaft, von neuen Erkenntnissen zu profitieren. Um es in den Worten von Yves Flückiger zu sagen: «Offene Forschungsdaten, offene Wissenschaft und Datenkompetenz sind nicht nur Ziele, sondern auch Wege in eine bessere und vernetztere Zukunft.»
Sie sehe das Bereitstellen von Daten als eine Art Verpflichtung, sagte Angelika Kalt, Direktorin des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) und Vorsitzende des ORD-Strategierats, in ihrer Begrüssungsrede. «Ich bin überzeugt, dass sich die Qualität der Wissenschaft verbessert, wenn Daten geteilt und weiterverwendet werden. Zudem arbeiteten die Wissenschaftler:innen mit Steuergeldern.» Dass nach 2023 nun erneut ein ORD-Preis vergeben werde, begrüsse sie sehr. Dieser sei ein Resultat einer engen Zusammenarbeit aller wichtigen Akteure. «Jeder trägt seinen Teil zum Gelingen bei.»
In diesem Jahr lag der Schwerpunkt der Preisausschreibung auf zwei neuen Bereichen, die von der ORD-Preisjury definiert worden waren: der kollaborativen und interdisziplinären Wiederverwendung von Forschungsdaten sowie Bildungs- und Outreach-Aktivitäten, die auf dieses Ziel hinarbeiten. Insgesamt wurden 33 Projekte aus der ganzen Schweiz eingereicht, das gesamte Preisgeld betrug 21’000 Franken. Die Jury sei erfreut gewesen über das breite Spektrum an Eingaben, das sich über alle Disziplinen, Karrierestufen, Institutionen und Regionen der Schweiz erstreckt, sagte die Jury-Vorsitzende Evie Vergauwe von der Universität Genf. Angesichts dieser Vielfalt habe die Jury beschlossen, gleich vier Projekte gleichrangig auszuzeichnen und zwei weitere zu honorieren. «Diese Preise widerspiegeln den Reichtum der ORD-Landschaft in der Schweiz.»
Eines der vier prämierten Projekte ist Pathoplexus, eine innovative Genomsequenzierungsdatenbank für Viren mit Sitz in Basel. Die Plattform hat eine grosse Bedeutung für die öffentliche Gesundheit, da sie durch moderne Infrastruktur den freien Zugang zu interaktiv analysier- und programmierbaren Daten ermöglicht. Unterstützt wird die Plattform durch die Open-Source-Software Loculus, die es Nutzer:innen erlaubt, eigene Datenbanken zu erstellen. Das Projekt vereint Mitglieder aus zehn Ländern und fünf Kontinenten. Die Leitung liegt bei der Epidemiologin Emma Hodcroft (Swiss TPH, Basel), die jüngst von der Fachzeitschrift «Nature» zu einem der drei «People to Watch in 2025» ausgezeichnet wurde. Mitgeprägt wurde Pathoplexus auch von Wissenschaftler:innen wie Tanja Stadler (ETH Zürich), Chaoran Chen (ETH Zürich), Richard Neher (Universität Basel) und Cornelius Roemer (Universität Basel).
Überzeugt hat die Jury auch ROADS (Reusing Openly Accessible research Data for Student theses), ein Projekt, das von Anna Daudrich (ZHAW) geleitet wird. Dieses untersucht, wie gut öffentlich zugängliche Forschungsdaten wiederverwendbar sind, und stärkt die Datenkompetenz von jungen Forschenden durch praxisnahe Leitlinien und interdisziplinäre Zusammenarbeit.
Ein weiterer Preis ging an openwashdata, geleitet von Elizabeth Tilley (ETH Zürich). Dieses Projekt fördert die Wiederverwendung von Daten im Bereich Wasser und Hygiene (WASH). Dabei werden offene Datensätze veröffentlicht sowie Schulungen angeboten, um den globalen Zugang zu verbessern.
Schliesslich wurde ENAC-IT4Research von Charlotte Weil (EPF Lausanne) von der Jury ausgezeichnet. Das Projekt unterstützt Forschende im Bauwesen und Umweltbereich mit FAIR-Praktiken, Open-Source-Tools und Workshops, um die Datenqualität und Nachnutzbarkeit zu steigern.
Neben den Hauptpreisträger:innen honorierte die Jury BasArt von Béatrice Joyeux-Prunel (Universität Genf) und DCSM von Guillaume Anciaux und Son Pham-Ba (EPF Lausanne) als «bedeutende Beiträge zu einer offenen Forschungslandschaft».
Die Auszeichnung ist Teil des Nationalen Aktionsplans für ORD, der auf einer nationalen Strategie beruht. Die Strategie und der Aktionsplan wurden 2021 veröffentlicht und gehen nun in die zweite Phase über. Die Preisverleihung bot daher den idealen Rahmen, um in einem Podiumsgespräch auf die ersten vier Jahre zurückzublicken und über die künftige Entwicklung zu diskutieren (siehe Kasten). In der anschliessenden Rede zeigte Open-Data-Expertin Anneke Zuiderwijk von der Delft University of Technology auf, dass das Umfeld eine grosse Rolle spiele, ob Daten veröffentlich würden ober eben nicht. So hätten Umfragen unter Forschenden gezeigt, dass Daten vor allem dort veröffentlicht würden, wo die technische Infrastruktur vorhanden ist, sich sogenannte Data Stewards um Fragen rund um gutes Forschungsmanagement kümmern und auch Professor:innen und Kolleg:innen ihre Daten teilen. Ist dies nicht der Fall, ist nur eine Minderheit bereit, die eigenen Forschungsdaten zur Verfügung zu stellen. Damit das Veröffentlichen von Daten zur Selbstverständlichkeit wird, sollte es weniger als Verpflichtung als vielmehr als Dienstleistung angeschaut werden. Zum Abschluss wollte Anneke Zuiderwijk von den Anwesenden wissen, ob sie glauben, dass Open Research Data in zehn Jahren eine Selbstverständlichkeit sein werde. Rund die Hälfte der Hände ging in die Höhe. Für Zuiderwijk ein Zeichen, dass die Richtung stimmt.
Zum Abschluss der Veranstaltung wartete Olivia Denk, Leiterin der ORD-Fachstelle der Akademien, mit einer Überraschung auf. Eigens für die Preisverleihung hat die FHGR Campus Brauerei ein ORD-Bier hergestellt, das beim Apéro angeboten wurde.
Vor nunmehr vier Jahren wurde die nationale ORD-Strategie veröffentlicht. Im Rahmen der ORD-Preisverleihung schauten die Mitglieder des ORD-Strategierats auf die ersten vier Jahre zurück – und wagten einen Blick in die Zukunft. Auf dem Podium diskutierten Akademien-Präsident Yves Flückiger, Angelika Kalt, Direktorin des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) und Präsidentin des Strategy Council, und Martin Vetterli, Präsident der École Polytechnique Fédérale de Lausanne EPFL. Moderatorin Miriam Margani wollte zum Einstieg von Angelika Kalt wissen, wie ihr Fazit nach den ersten vier Jahren Aufbauarbeit lautet. «Es war anstrengender, als wir gedacht hatten», so Angelika Kalt. Eine Schwierigkeit habe beispielsweise darin bestanden, die verschiedenen Fachrichtungen zusammenzubringen und ein gemeinsames Verständnis und gemeinsame Standards zu schaffen. Dies zu koordinieren, sei eine grosse Herausforderung gewesen – und sei es immer noch. Martin Vetterli betonte, es sei daher wichtig, dass das Thema «Chefsache» sei und Professorinnen und Entscheidungsträger vorangingen. Yves Flückiger beobachtet indes eine gewisse Tendenz, sich in der eigenen Blase zu bewegen. Um das Innovationstempo zu beschleunigen, sei die interdisziplinäre Zusammenarbeit unabdingbar. «Dafür brauchen wir Koalitionen.»
Noch gebe es viel zu tun, betonte Angelika Kalt. Denn obwohl der Aktionsplan vorsieht, dass Forschende ihre Daten zur Verfügung stellten, werden derzeit nur etwa 30 bis 40 Prozent der Daten veröffentlicht. «Diese Zahlen überraschen mich immer wieder.» Das zeige, dass es immer noch Forschende gebe, die ihre Daten nicht mit anderen teilen möchten. Aber auch, dass vielen noch nicht bewusst sei, wo sie ihre Daten veröffentlichen können. Martin Vetterli nannte einen möglichen weiteren Grund für die Zurückhaltung: Das Veröffentlichen von Daten berge auch gewisse Gefahren. Denn was im Internet zu finden sei, werde auch genutzt – und das nicht immer nur mit guter Absicht. Einer der nächsten Schritte sei daher sicher, Richtlinien für die Umsetzung von ORD-Praktiken festzulegen, sagte Yves Flückiger. Noch sei man nicht ganz so weit, «wir befinden uns derzeit irgendwo in der Mitte des Wegs». Aber die prämierten Projekte zeigten, dass der eingeschlagene Weg der richtige sei.
Olivia Denk
Specialist for Open Science
House of Academies
Laupenstrasse 7
P.O. Box
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